Lösungsorientierung - Kraftvoll denken, wenn´s eng wird.

Manchmal beginnt der Tag mit einem tiefen Atemzug
Du betrittst das Zimmer, willst eine Verbindung aufbauen – doch der Bewohner schreit dich an. Die Schicht ist gerade gestartet, aber dein Kopf rauscht schon. Zu wenig Zeit, zu viele Aufgaben, zu viel Verantwortung.
Und trotzdem: Genau hier zeigt sich, was uns stärkt. Nicht durch den perfekten Plan. Sondern durch die Fähigkeit, weiterzudenken, während es brennt.
Durch die Entscheidung, nicht in Problemen zu verharren – sondern Bewegung zuzulassen.
Das ist Lösungsorientierung. Nicht als Methode, sondern als innerer Kompass, der in unklaren Situationen Richtung gibt.
Von Nora und Kira – zwei vertraute Stimmen im Pflegealltag
Vielleicht kommen dir diese beiden Typen bekannt vor. Oder du erkennst sie in dir selbst – je nach Tagesform.
Nora denkt schnell in Problemen. Wenn eine Kollegin ausfällt: „War klar – wieder mehr für uns.“ Wenn eine Maßnahme nicht greift: „Ich hab’s ja gesagt, das bringt nichts.“ Nora meint es nicht böse. Sie ist erschöpft. Ihr Blick schützt sie.
Kira dagegen stellt sich dieselben Situationen – aber mit einer anderen Energie. Sie sagt: „Okay, es ist eng. Was ist jetzt das Wichtigste?“ Oder: „Ich versuch’s noch mal bei Herrn Müller – vielleicht diesmal mit Musik.“
Kira drückt nicht weg, was schwer ist. Aber sie bleibt nicht stecken. Sie denkt in Richtungen. In Möglichkeiten. In Schritten. Nicht perfekt – aber beweglich.
Kira bringt Dynamik ins Team
Kira ist kein Wirbelwind, der alles umreißt. Sie ist eher wie ein warmer Windstoß, der frische Luft in festgefahrene Routinen bringt.
Mit ihr kommen neue Perspektiven ins Spiel. Sie fragt: „Müssen wir das wirklich immer so machen?“ oder „Was wäre ein kleiner Schritt in eine andere Richtung?“ Und allein solche Fragen reichen oft, um etwas in Bewegung zu bringen.
Denn Kira denkt nicht allein für sich. Sie öffnet Denkräume im Team. Plötzlich wird nicht mehr nur über das Problem gesprochen, sondern darüber, was möglich ist – auch unter den bekannten Bedingungen.
Das verändert den Umgang miteinander: Vom kollektiven Seufzen hin zu einem gemeinsamen Ausprobieren. Nicht idealistisch – sondern realistisch mit Entwicklungsspielraum.
Warum Selbstwirksamkeit so zentral ist – gerade in der Palliative Care
Selbstwirksamkeit beschreibt das Gefühl: „Ich kann etwas bewirken.“ Nicht alles. Nicht immer. Aber etwas.
Gerade in der Palliative Care, wo viele Rahmenbedingungen nicht veränderbar sind, ist das zentral. Du kannst den Verlauf nicht aufhalten – aber du kannst mitgestalten, was innerhalb deiner Möglichkeiten liegt.
Zum Beispiel, indem du:
- klarer kommunizierst, was geht – und was nicht,
- den Tagesablauf mit einer Kollegin neu abstimmst,
- eine kleine Veränderung ausprobierst, die den Umgang mit einem Bewohner erleichtert.
Das sind keine großen Heldentaten. Aber sie machen einen Unterschied. Weil sie dich aus der Ohnmacht holen – und zurück in die Wirksamkeit bringen.
Pflegende, die erleben: „Ich gestalte mit“, haben ein anderes Gefühl für ihren Beruf. Sie resignieren seltener, handeln gezielter – und erleben auch in schwierigen Situationen mehr Sinn.
Die Geschichte mit den Seesternen
Nach einem Sturm liegen tausende Seesterne am Strand. Ein Junge geht den Strand entlang und wirft einen Seestern nach dem anderen zurück ins Meer.
Ein Mann beobachtet ihn und sagt: „Das bringt doch nichts. Du kannst sie unmöglich alle retten.“ Der Junge hebt einen weiteren Seestern auf, wirft ihn ins Wasser und sagt: „Für diesen hier hat es einen Unterschied gemacht.“
Diese Geschichte ist ein Sinnbild für Selbstwirksamkeit – und auch für Lösungsorientierung. Denn der Junge hört nicht auf, nur weil er nicht alles verändern kann. Er handelt trotzdem. Und vielleicht denkt er – oder der Mann – irgendwann weiter: Was wäre, wenn wir zu zweit werfen? Oder mit Eimern? Oder Hilfe holen?
Die erste Idee war gut. Aber vielleicht gibt es noch bessere.
Genau das ist lösungsorientiertes Denken: Dranbleiben. Nicht aufgeben. Und sich erlauben, dass es mehr als nur einen Weg geben kann – wenn man sich traut, neu zu denken.
Ideeninseln im Pflegealltag – warum wir sie brauchen
Lösungsorientierte Menschen haben eine Grundüberzeugung: Es gibt immer mehr als eine Lösung. Und: Die erste Idee ist selten die beste.
Sie handeln nicht hektisch. Sie handeln bewusst.
Nicht, weil sie alles wissen – sondern weil sie sich die Zeit nehmen, weiterzudenken. Denn Professionalität zeigt sich nicht nur im Handeln, sondern auch im Innehalten.
Gerade in der Pflege hetzen wir oft von einem Problem ins nächste. Wir greifen zur erstbesten Maßnahme – einfach, damit etwas passiert. Und merken erst später: Vielleicht hätte es auch anders gehen können. Vielleicht sogar besser.
Ein passendes Bild: Zwei Männer rennen in Panik auf den Schienen vor einem Zug davon. Einer ruft: „Wenn nicht bald eine Weiche kommt, sind wir verloren!“ Sie kommen nicht auf die Idee, einfach zur Seite zu treten.
Genau das passiert auch in Organisationen. Man sucht verzweifelt nach einer strukturellen Lösung, nach Ressourcen oder Stellenschlüsseln – statt innezuhalten, kurz aus der Spur zu treten und von außen auf das Problem zu schauen.
Ideeninseln helfen dabei, genau diesen Perspektivwechsel zu ermöglichen.
Es sind kleine Räume im Arbeitsalltag, in denen nicht gehandelt wird – sondern gedacht.
Nicht bewertet, sondern gesammelt. Nicht kritisiert, sondern ausprobiert.
Sie können ganz unterschiedlich aussehen:
- ein kurzer Austausch im Team vor dem Frühdienst: „Gibt es heute eine Situation, für die wir bewusst mal etwas Neues probieren wollen?“
- eine Reflexionskarte in der Teeküche mit der Frage: „Welche andere Möglichkeit hätte es gestern gegeben?“
- regelmäßigereflexive Fallbesprechungen, die nicht nur auf das Ergebnis blicken, sondern auf Entscheidungswege, Impulse und Alternativen.
- dieDisney-Methode, gezielt eingesetzt für kreative Prozessüberlegungen: erst träumen, dann planen, erst dann kritisch prüfen.
- eine stille Minute nach einem fordernden Gespräch, um sich selbst zu fragen: „War das meine beste Idee – oder meine schnellste?“
Denn: Kreativität entsteht nicht im Dauerdruck.
Sie wächst dort, wo wir langsamer werden, zuhören, gemeinsam denken – und uns erlauben, neue Wege zu sehen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar waren.
Das ist keine Schwäche. Das ist reflektierte Professionalität.
Kreativität entsteht nicht im Dauerdruck. Sie entsteht, wenn wir für einen Moment langsamer werden. Dieses Phänomen kennen wir, z. B. wenn uns im Auto oder unter der Dusche ein guter Gedanke kommt – erst, wenn der Stress abfällt kommt diese gute Idee. Und in der Praxis können wir diesen Effekt wieder lernen, und zwar, wenn wir Situationen nicht sofort reparieren, sondern erst verstehen – für mich bedeutet das reflektierte Professionalität. Denn: Wer sich erlaubt, mehrere Lösungen zu denken, erweitert nicht nur das Handlungsspektrum – sondern stärkt auch das Vertrauen in die eigene Kompetenz.
Reflexionsfragen
- Wo spüre ich in meinem Arbeitsalltag, dass ich etwas bewirken kann?
- Wann neige ich dazu, mich in Problemen zu verlieren – und wie könnte ich bewusst gegensteuern?
- Welche Person in meinem Team denkt lösungsorientiert – und was macht sie konkret anders?
- Wie würde sich mein Tag verändern, wenn ich mir eine Idee-Insel pro Woche gönne?
- Was könnte mein persönlicher erster Schritt zurück in die Wirksamkeit sein – ganz praktisch?
„Wirklich professionell ist nicht, wer alles weiß – sondern wer im Ungewissen handlungsfähig bleibt.“
Diesen Artikel dürfen und können Sie hier gern als pdf-Datei herunterladen: Artikel



