Klarheit statt Kuschelkurs - Generation Z, Einarbeitung und die neue Führung

Ein Newsletter für Pflegende in leitenden Funktionen
- Einstieg: Eine E-Mail – und ein Stich ins Nervensystem
„Hallo Conny, kannst du für unser nächstes Fortbildungsprogramm ein Seminar machen? Zum Thema einfühlsames Einarbeiten? Das ist für die Einrichtungen gerade so schwierig mit den jungen Leuten im Beruf.“
Solche Anfragen bekomme ich schonmal. Und dabei stockt mir kurz der Atem. Nicht, weil ich das Thema nicht wichtig finde. Im Gegenteil. Es ist zentral. Aber der Titel? Der triggert mich. „Einfühlsames Einarbeiten“ klingt irgendwie nach Wattebausch-Pädagogik. Und nach einem unausgesprochenen Wunsch: Mach sie uns bitte fit, die jungen Leute. Möglichst konfliktfrei. Möglichst unkompliziert. Möglichst angepasst. Und bitte sag uns auch, wie wir sie erziehen können, damit sie richtig werden für die Arbeitswelt – anpassungsfähig, belastbar, teamfähig. Möglichst ohne Widerstände, möglichst ohne Diskussion. So, dass sie funktionieren. Und dabei möglichst wenig Unruhe ins bestehende System bringen. Eine stille Hoffnung, die so verständlich wie gefährlich ist – denn sie geht an der Realität vorbei. Aber ist das wirklich der richtige Anspruch?
- Führung zwischen Angst, Anpassung und Erwartung
Ich erlebe derzeit viele Führungskräfte, die aus einem diffusen Gefühl der Bedrohung heraus agieren. Der Fachkräftemangel hat sich wie ein schwerer Nebel über die Einrichtungen gelegt. Alles scheint verhandelbar geworden zu sein: Arbeitszeiten, Wochenenddienste, Verantwortlichkeiten. Mitarbeitende bekommen Angebote, bei denen sich Teams verdrehen müssen. Alles im Dienste der Personalgewinnung. Die Folge? Verunsicherung, Frust und ein Rückzug in den Zynismus. Und die Frage, die sich stellen muss: Auf wessen Kosten treffen wir diese Entscheidungen eigentlich? Allzu oft auf Kosten der Teamdynamik. Denn Pflege funktioniert nicht im luftleeren Raum – sie lebt von funktionierenden Teams. Von Kolleg:innen, die sich gegenseitig unterstützen, die Lasten auffangen, die mit einem Blick erkennen, wenn jemand überlastet ist. Wenn aber unter dem Druck der Personalnot plötzlich Sonderregelungen getroffen werden, wenn neue Kolleg:innen mit Zugeständnissen gelockt werden, die für andere nicht gelten, dann wirkt das wie Dynamit. Es sprengt das Fundament der Zusammenarbeit. Plötzlich steht da die erfahrene 50-jährige Kollegin und merkt: Ich bin weniger wert. Und das, obwohl sie jahrelang mitgetragen, geschuftet und ausgeglichen hat. Solche Entwicklungen zerstören Vertrauen – und Teams, die wir dringend brauchen. Anstelle von Führung findet oft bloß noch Schadensbegrenzung statt. Die große Frage, die bleibt: Wer führt hier eigentlich wen?
- Generation Z – Mythos, Realität – und was das für uns als Leitung bedeutet
Lange Zeit habe ich mich geweigert, mich auf die Generationenbegriffe einzulassen. Zu vage. Zu generalisierend. Doch je mehr ich mit jungen Mitarbeitenden arbeite, desto mehr erkenne ich: Da ist tatsächlich etwas anders. Die Generation Z ist in einer Welt aufgewachsen, in der Unsicherheiten Alltag sind – globale Krisen, Pandemien, Krieg, Klimakatastrophen. Gleichzeitig erleben sie ein Elternhaus, das sie begleitet hat mit Fürsorge, manchmal bis zur Überfürsorglichkeit. Die Folge: ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, nach Sinn und nach Bindung. Sie wirken auf viele Vorgesetzte fordernd, ja fast anstrengend. Aber unter der Oberfläche liegt oft eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit – und nach Wahrhaftigkeit.
Und genau hier liegt unsere Aufgabe als Leitung: nicht in der Anpassung an jede Erwartung, sondern in der bewussten Gestaltung von Klarheit. Die intuitive Reaktion vieler Leitungen ist es, sich schick zu machen, Erwartungen zu erfüllen, sich geschmeidig in neue Formen zu beugen. Doch das kann nicht die Antwort sein. Wer führen will, darf nicht nur gefallen wollen. Gerade weil diese Generation so viel Orientierung sucht, braucht es Halt. Keine leeren Versprechen. Kein „Alles ist möglich“. Sondern klare Spielregeln, die verlässlich sind. Und ein Führungsverständnis, das nicht auf Dienstleistungsdenken basiert, sondern auf Verantwortung – für Menschen, für Teams und für Strukturen. Denn das ist es, was Generation Z wirklich braucht: Orientierung, Beziehung und Glaubwürdigkeit.
Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir nur flexibel genug sein müssen, damit sich alles fügt. Vielmehr brauchen wir den Mut, wieder Position zu beziehen. Gerade weil die Generation Z so viel Orientierung sucht, sind wir gefragt, ihr Halt zu geben. Nicht durch Kontrolle, sondern durch Verlässlichkeit. Nicht durch Anpassung, sondern durch Authentizität. Denn junge Menschen erkennen sehr genau, wenn wir inkonsequent handeln – und verlieren dann schnell das Vertrauen. Und genau das ist die eigentliche Herausforderung: in einer veränderten Welt Führung zu leben, die ehrlich, konsequent und menschlich zugleich ist.
- Zwischen Einfühlsamkeit und Verwöhnen – der schmale Grat
Einfühlsamkeit wird oft verwechselt mit Nachgiebigkeit. Doch echtes Einfühlungsvermögen bedeutet nicht, alles möglich zu machen, sondern die Perspektive des anderen zu verstehen – und dann verantwortungsvoll zu handeln. Es geht darum, die Bedürfnisse der neuen Mitarbeitenden zu sehen, ohne dabei die Teamstruktur aus dem Blick zu verlieren. Ein gutes Onboarding führt Menschen in ein System ein – es polt sie nicht um, es verbiegt sich nicht, sondern bietet Orientierung. Und genau das gibt Sicherheit: Halt, nicht Harmonie. Dabei reicht es nicht, in den ersten Tagen freundlich zu sein oder einen Willkommensordner zu überreichen. Ein tragfähiges Onboarding braucht Zeit – mindestens sechs Monate, idealerweise bis zum Ende der Probezeit. Denn erst über einen längeren Zeitraum hinweg zeigt sich, wie jemand wirklich im Team agiert, welche Haltung, welche Werte und welches Engagement eine Person mitbringt. Ebenso wichtig: Auch das Team braucht Zeit, um den neuen Menschen kennenzulernen – unter realistischen Bedingungen, mit echtem Arbeitsdruck, mit Konflikten und Alltagschaos. Nur so kann echte Integration entstehen. Und auch die Möglichkeit, dass beide Seiten – Team wie neue Mitarbeiter:innen – sich im Zweifel ehrlich und respektvoll gegen eine Zusammenarbeit entscheiden dürfen, ohne Gesichtsverlust. Denn das ist ebenfalls Teil von Einfühlungsvermögen: nicht alles passend machen zu wollen, sondern die Passung wirklich zu prüfen.
In der Praxis erleben wir jedoch zunehmend Übersteuerungen. Da werden neue Auszubildende zur Begrüßung in den Heidepark eingeladen – mit Eintrittsgeld, Busfahrt und Lunchpaket. Die langjährigen Kolleginnen im Team schauen dabei zu, mit zusammengekniffenem Mund. Nicht, weil sie es den Neuen nicht gönnen würden. Sondern weil sie selbst noch nie ein vergleichbares Zeichen der Anerkennung erhalten haben. Oder ein Praktikant, der dreimal seine Hospitation verschiebt – und dem die Pflegedienstleitung trotzdem nochmal hinterhertelefoniert. Aus Angst, ihn als potenzielle Fachkraft zu verlieren. Was bleibt bei den anderen hängen? „Für die wird sich mehr Mühe gegeben.“
Natürlich müssen wir attraktiv sein. Natürlich dürfen wir uns zeigen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Bindung nicht aus Geschenken entsteht. Sondern aus echter Beziehung. Aus gemeinsamer Verantwortung. Und aus klaren Absprachen, die auch mal zumutbar sind. Wenn wir neue Mitarbeitende um jeden Preis halten oder gewinnen wollen, verlieren wir manchmal etwas sehr Wertvolles: das Vertrauen derjenigen, die schon da sind. Und die haben ein feines Gespür dafür, ob es gerecht zugeht – oder nicht.
Einfühlsamkeit ist also nicht die Kunst, es allen recht zu machen. Sondern die Fähigkeit, Bedürfnisse zu sehen und in ein tragfähiges Miteinander zu überführen. Es braucht Augenhöhe, aber auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – für klare Worte, für gesunde Grenzen und für Entscheidungen, die nicht nur kurzfristig bequem sind, sondern langfristig tragfähig.
- Von der Angst zur Führungskraft
Viele Führungskräfte erleben derzeit eine paradoxe Situation: Sie sollen Orientierung geben in einer Welt, die sich selbst kaum mehr orientieren kann. Sie stehen unter Druck von oben – und unter Erwartung von unten. Das Ergebnis: ein Gefühl der Überforderung. Dabei liegt in dieser Spannung auch eine Chance. Denn wer sich selbst kennt, wer seine Werte reflektiert und sich nicht nur über Funktion definiert, kann auch führen – jenseits von Checklisten. Es braucht Führungskräfte, die sich trauen, wieder Haltung zu zeigen. Die Nein sagen können, ohne zu verletzen. Die Konflikte moderieren können, ohne sie zu vermeiden. Und die auch sich selbst ernst nehmen – mit ihren Grenzen, mit ihrer Kraft und mit ihrem Kompass.
Bodo Janssen hat es treffend formuliert: Menschen zu stärken heißt, sie aus der Angst in die Selbstverantwortung zu begleiten. Das gilt nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für uns als Leitung. Wir müssen selbst Vorbilder sein – in Haltung, Kommunikation und Reflexion. Selbstverantwortung bedeutet, sich nicht länger hinter dem Fachkräftemangel zu verstecken. Sondern die Spielräume zu nutzen, die wir haben: Wie gestalten wir Teamsitzungen? Wie führen wir Gespräche? Wie reagieren wir auf Regelbrüche? Wie konsequent sind wir in der Umsetzung unserer Werte? Das alles sind Führungsentscheidungen – und sie beginnen bei uns.
- Was bedeutet das konkret? Ein paar Impulse
Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass Onboarding mehr ist als ein Ablaufplan. Es ist ein Beziehungsangebot. Es bedeutet, dass wir nicht alles regeln können – aber vieles besprechbar machen sollten. Dass Teams selbst Lösungen entwickeln dürfen – aber innerhalb eines Rahmens, den wir setzen. Und dass Feedback nicht erst beim Jahresgespräch kommt, sondern im Alltag lebendig wird. Klarheit heißt nicht Härte. Klarheit heißt, sich selbst nicht aus dem Blick zu verlieren, während man anderen Orientierung gibt.
- Ein Blick in die Zukunft – und auf dich selbst
Die Generation Z stellt uns vor neue Herausforderungen – ja. Aber sie bringt auch viele neue Perspektiven mit. Sie fordert Klarheit, Kommunikation und Entwicklungsmöglichkeiten. Und das nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus einem echten Bedürfnis nach Sinn und Beziehung. Das ist nicht immer leicht – und es verändert unsere Arbeitswelt. Doch darin liegt auch eine Chance: nicht alles anders zu machen, sondern vieles bewusster.
Als Leitung geht es längst nicht mehr darum, es allen recht zu machen. Sondern darum, verlässlich zu sein. Klar in dem, wofür man steht. Offen in dem, was möglich ist – und ehrlich in dem, was eben nicht geht. Moderne Führung bedeutet nicht Perfektion. Sie bedeutet, sichtbar zu sein. Entscheidungen zu treffen. Und im besten Fall: gemeinsam mit dem Team zu wachsen. Stück für Stück. Im Alltag. Im Gespräch. Und manchmal auch in der Auseinandersetzung.
Das braucht kein neues Heldentum. Aber ein gesundes Maß an Selbstkenntnis, Dialogbereitschaft – und Mut, auch mal unbequem zu bleiben.
Reflexionsfragen für dich als Leitung
- Was hat sich in deinem Führungsverständnis in den letzten fünf Jahren verändert?
- Wo bist du besonders nachgiebig – und warum?
- In welchen Momenten verlierst du deine Klarheit – und wie könntest du sie zurückholen?
- Wer oder was gibt dir Sicherheit in deiner Rolle als Leitung?
- Welcher Satz würde dich selbst gerade besser durch deinen Führungsalltag tragen?
Fazit: Führung braucht Mut zur Klarheit
Vielleicht sollten wir aufhören, uns ständig neu zu erfinden – und stattdessen den Mut finden, wahrhaftig zu sein. Nicht perfekt. Nicht glatt. Sondern klar. Und vielleicht geht es beim Onboarding nicht darum, alles richtig zu machen – sondern gemeinsam anzufangen.
„Onboarding ist wie ein erstes Date: Wenn du dich zu sehr verstellst, wird das mit der Langzeitbeziehung nichts.“
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