Mir kamen nachts die Kinder mit aufs Bett
Können wir uns keine reflexive Praxis überhaupt noch leisten?

  1. Szene

Wir sitzen entspannt in der Küche meines Seminarraums. Es geht ein bisschen um den Job, ein bisschen um eine schwierige Kollegin, und irgendwann wendet sich das Gespräch. Andrea sagt: „Ich habe so viel Geld schon in Yoga, Heilpraktiker und Selbstsorgesettings gesteckt – dafür müsste ich bestimmt ein ganzes Jahr arbeiten.“

„Und?“, frage ich. „Hat es dir was gebracht?“

„Ja, ich lebe. Und ich fühle mich gesund.“

Ich habe da allerdings fast 20 Jahre für gebraucht.

Ich liebe meine Arbeit, und sie ist mir so wichtig, dass ich sie oft mit nach Hause nehme – ich nehme die Kinder in Gedanken mit ins Bett. Besonders die, bei denen es schwer ist. Oder die, die verstorben sind. Oder die wir sterben lassen mussten.

Andrea arbeitet seit 30 Jahren auf der Neonatologie, der Intensivstation für frühgeborene Kinder. 22+4 war das früheste Kind, das sie bisher ins Leben begleitet hat. Während sie erzählt, kommt dreimal ein Satz, der wie eine Entschuldigung klingt:

„Alle, die bei uns arbeiten, wissen, dass wir es oft mit sehr schweren Fällen zu tun haben – mit Trauer und Tod – und dass es oft sehr schwer ist.“

Für mich klingt das wie eine Rechtfertigung.

Entschuldige, dass ich noch Emotionen habe, obwohl ich ja wusste, dass es schwer ist – sorry.

Wir sprechen ein wenig – es ist ein Pausengespräch – und in der Lockerheit kommt auch das große Thema Schuld auf:

„Ich habe mich so oft gefragt, ob ich schuld bin – und sehe jetzt jüngere Kollegen, die mit ähnlichen Themen hadern.“

Weiter geht’s mit dem Fachkräftemangel, mit der Herausforderung der generalistischen Pflegeausbildung, die den Bereich der Kinderkrankenpflege zur Baustelle werden lässt, mit den Sparmaßnahmen. Weg sind wir vom Thema Fühlen, und ich frage mich: Wird diese Überlagerung von Problematiken – diese Ohnmacht im Job – auch dazu genutzt, Gefühle zu überdecken? Und gleichzeitig weiß ich, dass genau das die gegenwärtige Realität ist.

 

  1. Szene

Elvira stellt sich vor – es ist ein Online-Seminar. Ich blicke in 20 Kacheln: Wohnzimmer, Arbeitszimmer im Hintergrund. Sandra hat eine gemütliche Terrasse und sitzt eingekuschelt in einer Decke. Tobias hat eine Katze, die immer wieder durchs Bild läuft.

Elvira sitzt im Büro – ich vermute, es befindet sich in der Einrichtung.

„Ich bin die einzige Fachkraft in unserer Einrichtung – neben der PDL, aber die ist langzeitkrank.“

Ich bin irritiert und hake nach: „Öhm … geht das überhaupt? Ihr seid doch eine stationäre Einrichtung – muss nicht immer eine Fachkraft im Dienst sein? Und was ist mit der Fachkraftquote?“

Das Gespräch geht weiter, und ich erfahre, dass Elvira Single ist und aufgrund des Personalmangels als 24/7-Fachkraft immer anwesend ist. Mein Verstand braucht einen Moment – dann begreife ich: Elvira ist die examinierte Pflegekraft in ihrer Einrichtung. Und sie wohnt notgedrungen dort und ist somit immer abrufbereit.

Ich lasse das erstmal so stehen. Wir arbeiten am Thema des Seminars.

In der Mittagspause spitzt sich die Situation zu. Elvira muss abbrechen, sie wird gebraucht. Unser Seminar läuft die ganze Woche. Am nächsten Tag erfahre ich von beschwerenden Angehörigen und der Heimaufsicht. Am Donnerstag kommt Elvira nicht mehr. Am Freitag ruft sie mich an – völlig verzweifelt. Die Heimaufsicht hat die Einrichtung geschlossen. Es gab viele Vorfälle und Verwarnungen. Elvira hatte immer versucht, für die Bewohner alles zu retten: „Ich wollte einfach nicht, dass hier jemand ausziehen muss. Die meisten kommen aus der Gegend – und ein Umzug ist für viele schwer.“

Ich beginne zu verstehen, was Elvira getan hat: Aus Liebe zu den Bewohnern hat sie sich komplett verausgabt. Hat alle strukturellen Defizite geschluckt und mitgemacht. Sie war nicht als Führungskraft eingestellt – und hatte zu wenig Einflussmöglichkeiten.

Mich irritiert ihr Verhalten genauso, wie es mich beeindruckt. Und mir kommt ein Satz in den Kopf: „Professionalität erlangen wir durch eine reflektierende Praxis.“

Hier war kein Reflektieren mehr möglich. Nur noch Handeln. Retten, was geht. Stehen bleiben, mal nachdenken, sich Fragen stellen – das war für sie nicht mehr drin.

„Ich habe es nicht geschafft. Auch wegen mir müssen die Bewohner ausziehen.“ Das ist Elviras Fazit. Schon wieder eine Pflegende, die mit ihren diffusen Gefühlen nicht aufgefangen wird.

 

  1. Szene

„Ich werde das nie vergessen. Es war kurz nach der Übergabe am Wochenende. Wir waren am Nachmittag zu zweit als examinierte Kräfte, in der Frühschicht drei Personen. Die Übergabe war zu Ende.

Der Monitor aus Zimmer 204 schlägt Alarm – ich renne hin, denke erst an einen Fehlalarm – aber es ist keiner. Ich laufe in den Flur und rufe ‚Notfall!‘ – während ich zum Telefon eile, sehe ich in der Ferne, wie meine Frühdienstkolleginnen weglaufen. Die sind wirklich gerannt. Schnell weg von der Station. Nicht, dass ich da noch länger bleiben muss …“

Lene ist erschüttert vom Verhalten ihrer Kolleginnen. So sehr, dass diese Situation ein halbes Jahr später zur Kündigung führt.

Ich bin neugierig: „Hast du das kommuniziert – dass das dein Schlüsselerlebnis zur Kündigung war?“

„Natürlich nicht. Ich will ja nicht als nachtragend und kleinkariert gelten. Die Situation ist auch gut ausgegangen. Ich bin halt nur so enttäuscht, dass sie uns allein gelassen haben.“

Kleinkariert. Nachtragend. Nur enttäuscht. Es rauscht in meinen Ohren. Wo ist der Raum, der diese Emotionen einfängt?

 

Wenn das Fühlen keinen Platz mehr hat

Was die Geschichten von Andrea, Elvira und Lene verbindet, ist nicht nur die emotionale Wucht ihrer Erfahrungen – sondern auch das stille Ringen darum, irgendwo mit diesen Erfahrungen hinzukommen. Alle drei stehen exemplarisch für viele Pflegende, die ihre Arbeit mit tiefem Engagement machen – und dabei immer wieder an systemische Grenzen stoßen.

Andrea, die während 30 Jahren Neonatologie so viel investiert hat, damit sie nachts entspannt schlafen kann.

Elvira, die sich aufopfert und die Not der Bewohner mit ihrer eigenen Lebensrealität abfedert.

Lene, die erkennt, dass nicht der Notfall selbst, sondern das Alleingelassenwerden ihr Vertrauen zerstört hat.

 

Es sind diese Situationen, in denen das Denken zu laut, das System zu eng und das Fühlen zu leise wird. In denen die Schuldfrage schneller gestellt ist als das Angebot eines geschützten Raums. Wo Professionalität oft missverstanden wird als: Funktionieren um jeden Preis.

Doch das Gegenteil ist wahr: Professionelles Handeln in Pflege und Betreuung braucht Räume zur Reflexion. Orte, an denen Gefühle nicht stören, sondern dazugehören. Wo Ohnmacht, Wut oder Schuld nicht pathologisiert, sondern als Zeichen innerer Beteiligung ernst genommen werden.

Vielleicht sollten wir uns fragen: Können wir es uns wirklich leisten, keine reflektierende Praxis mehr zu haben? Oder anders: Was verlieren wir, wenn wir diesen Teil unserer Menschlichkeit systematisch ausblenden

Und vielleicht ist genau das der Titanic-Moment unserer Zeit.

Vielleicht ist längst bekannt, dass der Kurs riskant ist. Dass das Schiff überlastet ist, dass es zu wenig Rettungsboote gibt und die Crew keine Chance hat, gut vorbereitet zu reagieren.

Vielleicht wurden längst sechs Eiswarnungen empfangen – doch statt Kurskorrektur oder Trainings gibt es: Captain’s Dinner. Ein weggucken und laufen lassen und gucken was passiert –  Ich bin mir sicher, dass Kapitän Smith eigentlich seine Karriere mit dem Erfolg einer schnellen Überfahrt auf einem Luxusschiff beenden wollte – auch seine Erfahrungen haben ihm nicht davon abgehalten, an seinem Ziel festzuhalten.

„Die Helfer brauchen Hilfe“, „Die Zitrone ist ausgequetscht“ oder „Pflege liegt am Boden“ – alles Eiswarnungen… aber der richtige Kurswechsel um die emotionale Gesundheit von Pflegenden zu sichern oder ernst zu nehmen fehlt mi irgendwie noch.

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